Wenn der Zyklus mittrainiert

#Zyklus #Leistungssport #Menstruation

Warum Menstruation im Sport kein Tabu­thema sein soll

Die Situation ist vielen Frauen vertraut:

Unterleibsschmerzen, Müdigkeit, ein Gefühl emotionaler Überforderung – und das mitten im Alltag. Ein Trainingslauf, der sonst mühelos gelingt, fühlt sich plötzlich doppelt so schwer an. Der Grund: die Periode. Was seit der Pubertät monatlich zum Leben vieler Frauen gehört, wurde im Sport jahrelang ignoriert. Seit Kurzem rückt der weibliche Zyklus und seine Auswirkungen auf den weiblichen Körper verstärkt in den Fokus – auch im Leistungssport. Einen maßgeblichen Anteil daran haben vor allem Sportlerinnen, die das Thema in der Öffentlichkeit enttabuisieren.

 

Ein Trainingslauf, der sonst mühelos gelingt, fühlt sich plötzlich doppelt so schwer an.

Dass man sich für seine Menstruation alles andere als schämen muss, bewies bereits 2015 Kiran Gandhi als sie ohne Menstruationsprodukte den Marathon in London absolvierte. Die Bilder der damals 36-Jährigen in ihrer durchbluteten Laufleggins gingen um die Welt. Denn die US-Amerikanerin verfolgte an jenem 26. April zwei Ziele: 42,2 Kilometer trotz Periode zu laufen und gleichzeitig ein Zeichen gegen das Stigma rund um Menstruation zu setzen und auf die vielen Menschen weltweit aufmerksam machen, die keinen Zugang zu sicheren Menstruationsprodukten haben.

„Im vergangenen Jahrhundert haben wir nur drei praktikable Lösungen gefunden, um Frauen einen komfortablen Umgang mit ihrer Periode zu ermöglichen – einen Tampon, eine Binde und eine Menstruationstasse. Und weil wir den Dialog über unsere eigenen Körper nicht selbst geführt haben, konnten andere ihn gegen uns verwenden – als Beleidigung“, schreibt Gandhi im August 2015 in einem Kommentar für die britische Tageszeitung „The Independent“. Die Aktivistin bezieht sich auf das noch immerwährende Tabuthema Menstruation und die fehlende offene Kommunikation.

credits: Kiran Ghandi, London Marathon 2015
credits: Kiran Ghandi, London Marathon 2015

Große Wissens­lücken im Spitzen­sport

Neben einer offenen Kommunikation ist auch Aufklärung notwendig. Denn nur wer seinen eigenen weiblichen Zyklus oder den der Athletin versteht, kann optimale Trainingsergebnisse erzielen. Dass es dahingehend aber noch jede Menge an Aufklärungsbedarf gibt, weiß Sportwissenschafterin Antje Peuckert. 2021 rief sie gemeinsam mit weiteren Kolleginnen und Kollegen und Unterstützung des Olympiazentrum Vorarlbergs das Projekt „Female Athlete“ ins Leben. Ziel ist es, Athletinnen sowie Trainerinnen und Trainer besser über den weiblichen Körper und dessen Besonderheiten im Zusammenhang mit dem Leistungssport zu informieren und sensibilisieren. Bei bisherigen Workshops und Vorträgen bemerkten die Expertinnen und Experten, dass trotz großer Offenheit gegenüber dem Thema noch sehr viel Unsicherheit und Unwissen unter Sportlerinnen aber auch betreuenden Personen herrscht.

Ganz verwunderlich ist das nicht, immerhin ist der weibliche Zyklus ein sehr komplexes Zusammenspiel aus hormonellen Veränderungen und wird in der Schule im Unterricht meist sehr rasch durchgenommen – es ist zu unangenehm länger darüber zu sprechen. Und das ändert sich auch im späteren Leben selten. So wissen selbst viele Frauen, geschweige denn Männer, nicht, dass ein monatlicher Zyklus durchschnittlich 28 Tage dauert und sich in folgende vier Phasen unterteilen lässt.

  • Menstruation (Tag 1–5): Niedrige Östrogen- und Progesteronwerte. Viele Frauen fühlen sich erschöpft oder haben Schmerzen.

  • Follikelphase (Tag 6–13): Östrogen steigt, die Stimmung und Energie verbessern sich.

  • Ovulation (ca. Tag 14): Der LH-Peak (luteinisierendes Hormon) löst den Eisprung aus – bei manchen schmerzhaft spürbar, bei anderen unbemerkt.

  • Lutealphase (Tag 15–28): Progesteron dominiert, viele Frauen erleben PMS, Stimmungstiefs und verminderte Leistungsfähigkeit.

In jeder dieser Phasen wirken Östrogen und Progesteron in unter­schiedlicher Konzentration auf den Körper – mit direkten Aus­wirkungen auf das körperliche und mentale Leistungs­vermögen. Dieser Aspekt blieb in der Vergangen­heit bei der Trainings­planung oft unbeachtet. Zumindest bis jetzt: Immer mehr Athletinnen sprechen offen über abgeänderte Trainings­einheiten abhängig der Perioden­phase.

Zyklusphasen

Achtung: Der Zyklus ist nicht verall­gemeiner­bar

So wie der weibliche Zyklus von Frau zu Frau variiert, sind aber auch die Symptome individuell.

Sportwissenschafterin Antje Peuckert warnt jedoch davor, pauschale Aussagen zu treffen: „Es ist wissenschaftlich nicht belegbar, dass eine Zyklusphase grundsätzlich besser für das Training geeignet ist als eine andere.“ Vielmehr sei der individuelle Zugang entscheidend.

Gerade bei nicht-hormoneller Verhütung könne es zwar durch Hormonschwankungen zu spürbaren Veränderungen kommen – etwa durch den LH-Peak rund um den Eisprung, diese seien jedoch nicht bei allen Athletinnen gleich ausgeprägt. Stattdessen empfiehlt die Expertin nach Bauchgefühl zu trainieren. Leidet man unter starken Schmerzen oder kann man an einem bestimmten Tag nicht die bestimmte Leistung erbringen, empfiehlt sie einen Gang runterzuschrauben.

„Ich hatte ein Jahr lang keine Periode“

Von der Unsicherheit zur Selbst­verständ­lichkeit

Julia Mayer, mehrfache Staatsmeisterin und öster­reichische Rekord­halterin im Marathon, hat sich in den vergangenen sechs Jahren intensiv mit ihrem Zyklus auseinander­gesetzt – nicht aus medizinischem Interesse, sondern aus Notwendig­keit. „Ich hatte ein Jahr lang keine Periode“, erzählt sie in der neuen Podcast­folge „strong & SEEN – Sportlerinnen im Spotlight“ (Veröffentlichung am 30. Mai 2025). Grund seien intensives Training und eine ständige Gewichtskontrolle gewesen. Denn unter Läuferinnen und Läufern gelte immer noch: Wer leichter ist, läuft schneller. Das führte dazu, dass auch bei der gebürtigen Nieder­öster­reicherin Abnehmen zum Usus wurde.

Julia Mayer, Profiläuferin
Julia Mayer, Profiläuferin

Als sie 2019 mit Vincent Vermeulen eine Trainings­zusammenarbeit eingehen wollte, stand diese genau aus diesem Grund auf der Kippe. „Mein Trainer hat gesagt, dass er die Zusammenarbeit mit mir nur machen will, wenn ich meine Periode wieder bekomme“, erinnert sich die 32-Jährige zurück. Während viele Sportlerinnen bei ihren Trainern dahingehend auf Unverständnis und fehlende Kommunikation stoßen, war es in Julias Fall, ihr Trainer Vincent Vermeulen, der das Tabuthema Menstruation ansprach. „Ich bin unglaublich dankbar, dass mein Trainer das versteht. Weil es gibt so viele Männer, die das nicht verstehen und auch Männer in meinem Umfeld, die absolut nicht wissen, was das heißt.“ Julia schätzt die Offenheit des gebürtigen Niederländers. Diese vermisse sie bei so manchen Österreicherinnen oder Österreichern.

Ein Eingreifen in den Zyklus ist keine Option

Dass die Zusamme­narbeit zwischen Vincent Vermeulen und Julia Mayer funktioniert, zeigen nicht nur sportliche Erfolge, sondern auch körperliche: Wenige Monate nach Beginn der gemeinsamen Arbeit bekam sie ihre Monats­blutung wieder. „Ich bin darüber sehr glücklich, weil es sehr wichtig ist“, sagt die Athletin. Seither beobachtet Julia Mayer ihre Zyklus­phasen genau und passt ihr Training entsprechend an. Bei einschränkenden Symptomen wird die Intensität der Trainings reduziert, während des Eisprungs hingegen fühlt sie sich besonders leistungs­fähig. Ein Rennen in der Woche vor der Menstruation? „Jedes Mal eine Herausforderung. Die Herz­frequenz ist höher, man läuft mit zwei Kilo mehr aufgrund der Wasser­einlagerungen und die Körper­temperatur ist um ein bis zwei Grad höher – das spürt man.“ Ein Eingreifen in ihren Zyklus komme bei ihr aber nicht infrage, da es nur wenig Sinn mache. Zwar würde dies die Menstruation hinaus­zögern, die Symptome würden aber viel länger bleiben und somit auch länger spürbar sein. „Es wäre die Hölle“, sagt Julia Mayer, die erst 2017 den Lauf­sport für sich entdeckte und zuvor jahre­lang als Fußballerin aktiv war.
Julia Mayer, Profiläuferin
Julia Mayer, Profiläuferin

Während vor vielen Jahren Perioden­schmerzen und eine beeinträchtigte Leistungs­fähigkeit noch totgeschwiegen wurden, sei der Umgang im Umfeld anderer Athletinnen mit dem Thema aber offener geworden. „Früher hat man vielleicht mit einer engen Kollegin darüber gesprochen, heute ist das in der Trainings­gruppe normal“, sagt Julia Mayer. Auch in den sozialen Medien oder in Interviews äußert sie sich offen über Zyklus­beschwerden – zuletzt etwa nach dem Vienna City Marathon 2024, den sie trotz starker Krämpfe absolvierte. „Ich denke mir: Wenn ich mir den Zeh gebrochen hätte oder krank gewesen wäre, hätte ich’s auch gesagt. Also sage ich jetzt auch, wenn ich meine Tage habe, da bin ich mir nicht zu feig.“ Ein Abbrechen kam für sie – auch wenn es ihr Trainer im Nach­hinein für besser gehalten habe – damals nicht infrage: „Ich bin aber so ein Wett­kampftyp, da ist es schwer einfach auszusteigen. Das mache ich wirklich nur, wenn ich vor Schmerzen halt einfach zusammen­breche.“

Trainings­anpassung mit Maß

Aus Sicht der Wissenschaft ist eine zyklus­basierte (Training nach einem festen Zyklus­muster) oder zyklus­orientierte (Training mit Rück­sicht auf den Zyklus – aber flexibel) Trainings­steuerung zwar sinnvoll, jedoch nicht bei jeder Athletin von Anfang an notwendig. „Zunächst sollte überhaupt geklärt werden: Habe ich einen regelmäßigen Zyklus? Wie viele Tage umfasst er? Wann ist mein Eisprung?“, erläutert Antje Peuckert. Dafür sei es sinnvoll, ein Zyklus­tagebuch zu führen – analog oder via App. Erst wenn über drei bis vier Monate ein Muster erkennbar sei, könnten Rück­schlüsse auf mögliche Trainings­anpassungen gezogen werden.

female athletes Team: Dr. Antje Peuckert, Marc Philippe PhD und Teresa Müllebner (von links)
female athletes Team: Dr. Antje Peuckert, Marc Philippe PhD und Teresa Müllebner (von links)

Geht es nach Antje Peuckert, ist zyklusbasiertes oder zyklusorientiertes Training mit Vorsicht zu genießen.

Viele Betreuerinnen oder Betreuer würden oftmals zu schnell zu einem angepassten Trainingsplan greifen. Viel wichtiger ist es laut Peuckert jedoch die eigene Athletin zu verstehen, eine offene Kommunikation spiele eine wichtige Rolle. „Zyklusbasiertes oder zyklusorientiertes Training ist die Spitze des Eisbergs. Man sollte es erst anwenden, wenn es im Trainingsprozess nichts anderes mehr zu optimieren gibt“, sagt Peuckert. Für Nachwuchssportlerinnen stehe vor allem das eigene Körperbewusstsein im Vordergrund – und das Wissen, dass Leistung und Zyklus durchaus zusammenhängen.

Dass sich Spitzensport und Zykluswissen nicht ausschließen, beweist Julia Mayer. Gleichzeitig mahnt Peuckert zur Vorsicht, wenn aus dem Thema ein Leistungstool gemacht wird: „Der Hype um das zyklusorientierte Training beruht oft auf Einzelfällen. Die Individualität ist so groß, dass daraus keine allgemeinen Empfehlungen für alle Sportarten oder Athletinnen abgeleitet werden können.“

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